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Das Opernprojekt

Das Opernprojekt

So könnte die Bühne in einem Aufzug der Kasseler „Zauberflöte“ aussehen. Diese Version des Bühnenbildes beruht auf einem berühmten „Zauberflöten“-Szenarium, das Karl Friedrich Schinkel 1816 für die Königliche Oper Berlin geschaffen hat.

Oper als Wunsch-Vorstellung: Publikum entscheidet über Kassels neue „Zauberflöte“ 

Im Februar kommt am Staatstheater Kassel eine Neu-Inszenierung von Mozarts „Zauberflöte“ heraus. Ein Opernprojekt, wie es in Kassel in dieser Art noch nie zuvor angegangen wurde, wie das Regieteam mit Florian Lutz und Barbara Frazier erläutert.

Haben Sie schon mal etwas von der ,Zauberflöte’ gehört? Oder über die ,Zauberflöte’? Und wenn ja, was?

Mein Kassel

Diese Fragen standen am Beginn des neuen „Zauberflöten“-Projekts des Staatstheaters Kassel. Mehr als hundert Menschen wurden so zu Wolfgang Amadeus Mozarts berühmter Oper befragt, und tatsächlich: Alle, vom Schüler- bis zum Seniorenalter, hatten von der „Zauberflöte“ zumindest schon gehört. Figuren wie die Königin der Nacht oder der Vogelhändler Papageno wurden genannt, manche wussten von einem Weisheitstempel und Prüfungen, die Liebespaare zu bestehen hatten, auch die Rachearie der Königin der Nacht war vielen ein Begriff. Doch niemand, so berichten es Staatstheater-Intendant Florian Lutz und die Leiterin des Jungen Staatstheaters, Barbara Frazier, die die Neuinszenierung verantworten, konnte die komplette Handlung der Oper wiedergeben.

Aber darüber, wie die „Zauberflöte“ auf die Bühne kommen könnte, gab es sehr unterschiedliche Meinungen. Traditionell „werktreu“ oder doch lieber in einem aktuelleren Gewand? Zählen vor allem schöne, märchenhafte Bilder, oder geht es auch um aktuelle Themen wie die Geschlechterfrage? Oder um das Verhältnis von Gut und Böse, um Oberschicht gegen sogenannte einfache Leute? Soll es auch um Rassismus gehen – der „Mohr“ und Sklavenaufseher Monostatos steht für diese Problematik –, und wie steht es um die vom Tempelherrn Sarastro proklamierten Werte Vernunft und Humanität?

Für Florian Lutz und Barbara Frazier stand fest: Sie wollten bei ihrer Neuinszenierung der „Zauberflöte“ weg von eindeutigen Vorgaben des modernen Regietheaters, die von Teilen des Publikums oftmals abgelehnt werden. Stattdessen drehten die beiden gleichberechtigen Regie-Verantwortlichen den Spieß einfach um: Gezeigt werden sollte, was sich das Publikum wünscht. 

Da sich aus der Publikumsbefragung jedoch keine eindeutige Inszenierungsidee ableiten ließ, gingen sie noch einen Schritt weiter: Das Publikum sollte aus verschiedenen Inszenierungsansätzen auswählen können. Und das nicht nur einmal, per Befragung vorab, sondern in jeder einzelnen Vorstellung. Und auch nicht für die ganze Oper, sondern mehrfach im Verlauf der zwei Akte. Ein Projekt, das es so vermutlich in der Operngeschichte noch nicht gegeben hat. 

Vor allem aber ein anspruchsvolles Projekt: Denn ob die „Zauberflöte“ eher als opulente Bildergeschichte, als Sozialdrama oder als psychologisierendes Stück gezeigt wird, erfordert ein unterschiedliches „Outfit“. Bühne und Kostüme bekommen je nach der vom Publikum gewählten Variante ein anderes Aussehen, die Figuren ein anderes Gesicht. Allerdings sind die zur Auswahl stehenden Varianten durchgestaltet und durchgeprobt. Und auch Mozarts Musik steht nicht zur Disposition.

Extrem gespannt ist das Regie-Duo auf die Publikumsvorlieben. Denkbar ist sowohl, dass immer wieder die gleichen Regie-Versionen gewünscht werden, aber ebenso könnte jede Vorstellung ein ganz individuelles Gesicht bekommen. 

Sie haben diverse Opern-Highlights im Angebot und sind gespannt, wofür sich das Publikum entscheidet: Staatstheater-Intendant Florian Lutz und die Leiterin des Jungen Staatstheaters, Barbara Frazier, die gemeinsam die Regie-Lösungen für die „Zauberflöte“ entwickelt haben.

Wünschen würden sich Florian Lutz und Barbara Frazier, die selbst durchaus unterschiedliche Regie-Ideen für die „Zauberflöte“ bevorzugen, dass das Publikum völlig unvoreingenommen und ohne Vorkenntnisse über die Regie-Varianten die Vorstellungen besucht und sich mit spontanen Bekundungen der eigenen Vorlieben einbringt.Auf den Einwand, es sei doch die Aufgabe der Opernregie, eindeutige künstlerische Aussagen zu entwickeln, haben Florian Lutz und Barbara Frazier mehrere Antworten: Zum einen ist Florian Lutz zufolge im Laufe der langen Aufführungsgeschichte der „Zauberflöte“ „so gut wie jede substanzielle Deutung bereits erfolgt“. Kein Wunder: Seit langem ist Mozarts berühmtes Bühnenwerk der Opernhit Nummer eins mit den meisten Aufführungen in Deutschland. Zum anderen hat die Idee einer publikumsgesteuerten Inszenierung eine längere Vorgeschichte. Bereits an ihrer vorigen Wirkungsstätte, der Oper in Halle, haben sich Lutz und Frazier im Rahmen von theaterpädagogischen Projekten mit Wünschen und Ansprüchen des Publikums an die Oper befasst. Dabei wurde viel Kritik an den dargebotenen Regiearbeiten geäußert. So reifte der Gedanke: Jetzt soll das Publikum selbst entscheiden.

Florian Lutz wurde 1979 in Köln geboren. Er studierte Musikwissenschaft, Kunstgeschichte und Philosophie und arbeitete ab 2003 als freischaffender Opernregisseur. Von 2016 bis 2020 war er Intendant der Oper Halle. Seit 2021 ist er Intendant des Staatstheaters Kassel und Leiter der Sparte Musiktheater. Seine Inszenierung der Alban-Berg-Oper „Wozzeck“ wurde 2022 mit dem Deutschen Theaterpreis „Der Faust“ ausgezeichnet.

Barbara Frazier studierte Theater-, Film- und Literaturwissenschaft in Mainz, Wien und London. Ab 2012 leitete sie das Junge Theater am Theater Ulm. 2016 wechselte sie an die Oper Halle und baute die Junge Oper auf. Seit 2021 leitet sie am Staatstheater Kassel das Junge Staatstheater (JUST+).