Now Reading
Der Freundschaftsforscher

Der Freundschaftsforscher

Dr. Janosch Schobin, 1981 in Göttingen geboren, leitet seit 2017 eine Nachwuchsgruppe an der Uni Kassel über klimarelevante Verhaltensweisen in Freundschaftsnetzwerken, gefördert vom Bundesministerium für Forschung und Bildung. 

Seine Eltern sind Absolventen der Universität, arbeiteten als Entwicklungshelfer, sodass Schobin einen Teil seiner Jugend in Ecuador und Chile verbrachte, aber auch vier Jahre in Kassel zur Schule ging. An der Uni in Kassel studierte er und promovierte am Hamburger Institut für Sozialforschung.

Das Glück Freunde zu haben

Mein Kassel: Sind Sie ein guter Freund?
Schobin: Das müssen meine Freunde beurteilen. Aber ich habe in der jüngeren Vergangenheit nicht so viele Freunde verloren, vielleicht sagt das ja etwas über mein Freund-sein aus.

Was macht eine gute Freundschaft aus?
Wenn man unter gut „dauerhaft“ versteht, dann ganz wesentlich die Wechselseitigkeit der Beziehung.

Wenn man von besten Freunden spricht, dann sind das also die, bei denen es eine große Übereinstimmung in unterschiedlichsten Bereichen gibt?
Genau. Aber ganz besonders halt auch eine Übereinstimmung in der Bewertung der Beziehung selbst. Bei den meisten Menschen ist es so, dass sie mit Menschen befreundet sind, die mehr Freunde haben als sie selbst. Und wenn man viele Freunde hat, dann entsteht oft eine Art Ranking. So gibt es dann beispielsweise engere Freunde und weitere Freunde. Und da spielt diese Wechselseitigkeit der Bewertung rein, weil dabei Enttäuschungen vorprogrammiert sind. Oft machen Menschen daher die Erfahrung, dass sie dachten, eine Beziehung sei enger, als sie die Gegenseite wahrgenommen hat.

Und wenn man keine Freunde hat?
Das trägt zur Vereinsamung bei und das ist, um beim Oberbegriff für dieses Magazin zu bleiben, alles andere als Glück.

Glück und Freundschhaft gehören zusammen.

Nun sind die Menschen unterschiedlich. Ebenso fällt es dem einen leichter, Freunde zu finden, als anderen.
Am leichtesten haben es sicher die, die man als verträgliche Personen bezeichnen würde. Verträglichkeit ist als Persönlichkeitsmerkmal ein Synonym für Verlässlichkeit, Stabilität. Aber auch extrovertierte Menschen haben häufig mehr Freunde als andere, weil sie leichter Kontakte knüpfen. Die Freundschaften extrovertierter Menschen sind jedoch nicht unbedingt dauerhafter.

Aber wie wichtig ist Freundschaft, ist Freundschaft gleich Glück?
Die beiden Begriffe sind inhaltlich ganz eng verbunden. Und Freundschaft ist einfach eins der wichtigsten Dinge, damit es einem gut geht. Der beste Freund ist im Übrigen für viele Menschen der eigene Partner, auch in der Ehe.

Hat das Internet, speziell Social Media, etwas mit Freundschaften verändert?
Wir haben festgestellt, dass da nicht so viel passiert ist. Social Media bildet häufig Beziehungen ab, die die Leute schon haben. Wir sehen da ein neues Medium, in dem Freundschaften gepflegt werden. Was sich aber schon ändert, ist dadurch die Art und Weise, wie man sich um seine Freunde kümmert. Im Netz muss man sich mit Ihnen zeigen, vor anderen zur Darstellung bringen, dass man ihre Aufmerksamkeit erwidert. Was sich auch langsam ändert ist, dass das Netz mehr und mehr zu einem Ort der Freundschafts-Anbahnung wird. Wir untersuchen unter anderem Plattformen, wo Frauen Freundinnen finden können, und die haben stark steigende Nutzerinnenzahlen.

Hat sich Freundschaft denn im Laufe der Jahrzehnte, Jahrhunderte verändert?
Da gibt es sehr nachhaltige Veränderungen. Freundschaft war lange eher eine Beziehung in und zwischen Gruppen. Freundschaft war verbunden mit harten Pflichten. Schutz vor Gewalt beispielsweise, man stand dem Freund bei. Oder materielle Pflichten – man half in Freundschaften mit Geld oder Naturalien aus, protegierte die Kinder, falls der Freund starb. In modernen Gesellschaften sind diese „harten“ Pflichten „weicheren“ gewichen. Heute sind Freunde mehr dafür da einen psychisch zu unterstützen, um Freunde erlebbar zu machen.

Freundschaft ist auch Aufwand.

Warum?
Schutz vor Gewalt hat eben nicht mehr den Stellenwert, weil der Staat mit Gesetzen und der Exekutive diese Pflicht übernommen hat. Und auch die Entwicklung des Sozialstaats führt dazu, dass der materielle Aspekt nicht mehr so eine Rolle spielt. Freundschaften haben heute andere Schwerpunkte, Freunde helfen, wenn es mir nicht gut geht, Freunde geben Rat, Lebenshilfe, und sie sorgen auch dafür, dass das Leben Spaß macht. Das ist ja auch mit Blick aufs Glück nicht ganz unwichtig.
Mal Hand aufs Herz: Welchen politischen Nutzwert hat Freundschaftsforschung?
Schobin (lacht): Gute Frage. Würde sich Politik mit unseren Ergebnissen beschäftigen, hätte man beispielsweise die Corona-Impfkampagne ganz anders bewerben können. Wenn sich in Freundeskreisen der Impfgedanke breit macht, dann lässt sich manch Skeptiker von Freunden leichter überzeugen, sich impfen zu lassen, als von einem Politiker-Appell im Fernsehen. Den Menschen ist oft nicht klar, wie groß ihr Einfluss auf ihre Freunde ist. Da hätte man gezielt einhaken können.

Zum Schluss: Wer Freunde hat, ist ein glücklicher Mensch?
Zumindest trägt Freundschaft dazu nachhaltig bei. Man darf aber auch nicht vergessen, dass Freundschaft auch Aufwand ist, man muss investieren. Zeit, Aufmerksamkeit. Und je mehr Freunde man gewinnt, um so mehr nimmt deshalb der „Grenznutzen“ einer zusätzlichen Freundschaft ab, weil man den freundschaftlichen Pflichten schon aus Zeitgründen gar nicht so nachkommen kann, wie man müsste. Deswegen bleibt Freundschaft auch bis auf weiteres ein knappes Gut.