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documenta fifteen: Interview mit Reza Afisina

documenta fifteen: Interview mit Reza Afisina

„Mein Kassel“ hat ein persönliches Interview mit Reza Afisina von ruangrupa im Home Office geführt. Sein Sohn Malik hat ihn während des gut einstündigen Gesprächs fotografiert.

Wie hat ruangrupa eigentlich zusammengefunden und warum sind es genau neun Mitglieder? Hat irgendjemand nach dem neuten Mitglied entschieden: „Jetzt reicht’s“?

ruangrupa formte sich schon, als wir Mitte der 90er Jahre auf der Uni waren. Ade Darmawan, der 2000 einer der ruangrupa-Gründer wurde, Indra Ameng, Daniella Fitria und Reza Afisina sind seitdem bis zum heutigen Tag dabei. Es gab auch keine Mitgliedschaft oder Mitglieder. ruangrupa arbeitet seit nunmehr 22 Jahren als Kollektiv. Freunde kamen und gingen, ein ganz natürlicher Prozess. Bei der documenta fifteen besteht ruangrupa aus neun Mitwirkenden: Ade Damarwan, Iswanto Hartono, Indra Ameng, Daniella Fitria, Reza Afisina, Julia Sarisetiati, Ajeng Nurul Aini, Farid Rakun und Mirwan Andan.

Wie sehr haben die Ereignisse in der Ukraine und die Reaktionen darauf in der Welt das Konzept der documenta fifteen berührt? Hat sich Eure Arbeit seitdem verändert?

Da Teilen ein Teil unserer Methode ist, berühren die meisten Ereignisse auf der Welt unseren Prozess. Dabei sind auch einige Freunde von uns betroffen. Was wir bisher getan haben, ist diese Ereignisse wahrzunehmen und kollektiv zu verarbeiten, nicht nur für unseren Prozess der documenta fifteen, sondern auch in unseren Familien und natürlich mit den Menschen in Kassel – wie eigentlich immer, seit wir angefangen haben, mit der documenta zu arbeiten.

Wer ist Narpati Awangga, das mysteriöse Mitglied, das noch nie Kassel besucht hat?

Narpati Awangga, auch bekannt als OomLeo, ist bei ruangrupa seit 2003 und war auch schon davor zu unseren Uni-Zeiten gelegentlich dabei. Er konzentriert sich auf das Netzwerken in Indonesien, macht Radioprogramme und Karaoke-Events, außerdem ist er ein Motivations-Speaker in der Jugendkulturszene. Er wird bald nach Kassel kommen.

In welchem Ausmaß wird die documenta in der Lage sein, während der Ausstellung auf aktuelle politische und soziale Veränderungen einzugehen?

In unserem Prozess ist die documenta fifteen eine kollektive, gemeinsame Ernte, auf die wir alle warten. Dieser Prozess hat viel mit Diskussionen und Erfahrungen zu tun. Wir werden sehen, wie die Saat aufgeht, und sind alle gemeinsam in diesem ganzheitlichen Prozess dabei.

Die documenta fifteen wird in der Stadt zu sehen und zu fühlen sein wie noch keine documenta davor. Haben die Ausstellungsorte, die Ihr ausgewählt habt, etwas zu tun mit den Themen und Arbeiten, die dort präsentiert werden? Oder haben Euch die Locations einfach inspiriert?

Viele Locations in Kassel sind sehr inspirierend, aber auch Nachbarschaften und Gemeinschaften. Im kosmologischen Sinn sind sie Zutaten für uns und unsere Künstler und Netzwerke. Sie alle sind Teile unseres Prozesses und schaffen die Verbindungen.

Nach meiner Auffassung haben die künstlerischen Leitungen der vorangegangenen beiden Ausstellungen die Stadt und die Menschen, die hier leben, ziemlich grob behandelt. Glücklicherweise scheint das bei ruangrupa anders zu sein. Aber wie wurdet Ihr von der Stadt und den Menschen behandelt?

Für ruangrupa ist Kassel schon so etwas wie ein Zuhause geworden. Wir sind ein Teil der Gesellschaft und der Nachbarschaften, in denen wir leben, geworden. Wir machen da auch keine Unterschiede zwischen den Nachbarschaften in Kassel und Jakarta – für uns ist das alles dasselbe. Wir werden überall freundlich behandelt und wir lieben es, neue Freundschaften zu schließen.

Lass uns auf einen besonderen Aspekt der documenta fifteen schauen. Ich kann mich nicht erinnern, dass jemals Kinder eine besondere Rolle in den Ausstellungen gespielt hätten. Was habt Ihr speziell vor mit der jüngeren und der jüngsten Generation? Bis zu irgendeinem Punkt sollten doch auch sie in der Lage sein, die Kunst zu verstehen und ihre Verbindung zum wirklichen Leben.

Wie ich schon gesagt habe, geht es insgesamt darum, Dinge zu erfahren. Zu den Bedingungen unserer künstlerischen Praxis zählt sicher auch, weil einige von uns bei ruangrupa Kinder haben, dass unsere Zukunft ja eine mit diesen Kindern ist. Deshalb sollen auch sie Kunst erfahren, nicht als Kunst an sich, sondern kollektiv als Verstehen, was Leben mit Kunst ist.

Welche Reaktionen gab es bisher auf Euer Konzept, speziell aus Eurem Heimatland Indonesien?

Wir haben so viele Erfahrungen mit so vielen Geschichten geteilt – gute und schlechte.

Als die Pandemie uns getroffen hat, haben viele Museen und Galerien begonnen, ihre Angebote online zu präsentieren. Wenn Covid 19, was wir alle nicht hoffen, einen erneuten Lockdown zur Folge hätte: Wäre die documenta darauf vorbereitet?

Wir müssen ständig vorbereitet sein und mit unerwarteten Momenten oder Ereignissen in unseren Leben rechnen, auch jetzt mit der aktuellen Pandemie. Aber wir sind ja gemeinsam in dieser Situation. Und wir sollten die Hoffnung nicht aufgeben, dass alles gut wird.