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Ein Kasselaner für Kassel

Ein Kasselaner für Kassel

Kassel wählt in diesem Frühjahr sein Stadtoberhaupt. Amtsinhaber als Oberbürgermeister ist Christian Geselle. Er hat noch viel vor, will wiedergewählt werden. Und er hat in den vergangenen fünfeinhalb Jahren viel geleistet und erreicht. „Mein Kassel“ sprach mit dem Kasselaner. 

Mein Kassel: Herr Geselle, fünfeinhalb Jahre Tätigkeit als Oberbürgermeister sind fünfeinhalb Jahre harter Arbeit, stets im kritischen Fokus der Öffentlichkeit, fünfeinhalb Jahre mit wenig Freizeit. Warum wollen Sie sich das noch einmal antun?

Geselle: Weil ich erstens noch sehr viel Spaß daran habe, meine Heimatstadt weiter voranzubringen und den Bürgerinnen und Bürgern das beste Zuhause zu bieten. Zweitens: Ich bekomme aus allen Gesellschaftsschichten sehr viel Zuspruch mit der Ermunterung weiterzumachen. Drittens steht meine Familie voll hinter mir und dem, was ich mache und noch vorhabe.

Zurück zu den Kritikern. Die sehen im OB Geselle ja einen, der sich konsequent klimanützlichen Maßnahmen widersetzt. Was entgegnen Sie denen?

Dass die Kritiker sich mal an den Fakten orientieren sollen. Wir haben beispielsweise allein 66 Mio. Euro für die Verbesserung des Radverkehrs vorgesehen, da ist schon einiges im Stadtbild sichtbar. Ich bin aber nicht für Projekte zu haben, die nur aus ideologischen Gründen umgesetzt werden sollen. Verantwortung heißt auch, aus allen Blickwinkeln mit Weitsicht zu agieren.

Was meinen Sie damit?

Beispielsweise wird in den Jahren 2023 und 2024 die Autobahn 49 ab der Knallhütte Richtung Kassel erneuert. Viele werden die Bauarbeiten dann umfahren und zwangsläufig das Stadtgebiet durchqueren. Können Sie sich vorstellen, was das für Auswirkungen auf den innerstädtischen Verkehr hat? Gerade die Hauptverkehrsadern werden aus allen Nähten platzen. Wenn bekannt ist, dass dies auf die Stadt zukommt, ist es nicht sinnvoll, beispielsweise am Steinweg Verkehrsversuche zu machen.

Radwege sind das eine – aber Klimapolitik bedeutet ja mehr …

Ja natürlich, es gab in den vergangenen Jahren große Fortschritte, vielleicht wurden sogar Meilensteine gesetzt: Wir haben einen zweistelligen Millionenbetrag allein in die Erneuerung unseres Müllheizkraftwerkes investiert. Außerdem stellen wir das Kraftwerk Kassel von Kohle auf Klärschlamm- und Altholzverbrennung um. Das Fernwärmesystem wurde und wird immer weiter ausgebaut. Die ersten E-Busse fahren für die KVG, Straßenbahnen werden durch ökologisch erzeugten Strom angetrieben, die Stadtreiniger bekommen Müllfahrzeuge, die mit Wasserstoff betrieben werden, und auch den Ausbau der Solarenergie treiben wir mit besonderen Projekten voran. Wir machen mehr fürs Klima als jemals zuvor. Und nicht nur für dieses Klima …

Ich möchte, dass wir uns miteinander wohlfühlen in unserer vielfältigen, bunten und engagierten Stadtgesellschaft.

Christian Geselle

Sie meinen das Klima in der Stadt, in der Gesellschaft?

Genau. Dazu gehört es auch, dass wir uns miteinander wohlfühlen in unserer vielfältigen, bunten und engagierten Stadtgesellschaft. Das zeichnet Kassel aus. Und dafür bin ich sehr dankbar. Wenn das beste Zuhause lebenswert sein soll, dann müssen auch wichtige Rahmenbedingungen stimmen und wir müssen besonders die Zukunft unserer Kinder im Blick haben. Die Stadt hat deshalb kräftig investiert in Kita- und Hortplätze. In den vergangenen acht Jahren wurden 4.000 neue Plätze geschaffen. Das „beste Zuhause“ ist ja keine Momentaufnahme, sondern soll sich laufend weiterentwickeln. Und dazu bedarf es auch Investitionen in Bildung.

Der Neubau der Offenen Schule Waldau (OSW) ist so eine weitere große
Investition in die Kasseler Bildungslandschaft. Sie nennen diese als Teil des sogenannten Kasseler Weges. Was verbirgt sich dahinter?

Der Kasseler Weg beim Schulbau steht für enorme Investitionen in die Schulen. Ich habe mir kurz nach meinem Amtsantritt im Jahr 2017 selbst ein Bild vom Sanierungsstau in einigen Schulen machen können. Das war beschämend und ich habe daraufhin beschlossen: So geht es nicht weiter. Daraufhin haben wir im Team den Kasseler Weg entwickelt, mit dem wir moderne, zukunftsweisende Standards für Schulen setzen wollen. So haben wir im Jahr 2018 die Stadt Kassel Immobilien GmbH & Co. KG und die GWG Projektentwicklungsgesellschaft mbH gegründet, die im Auftrag der Stadt mehrere große Schulbauprojekte realisieren sollen und auch schon die Kita Nordshausen verwirklicht haben. Unsere Schülerinnen und Schüler und die Lehrkräfte brauchen intakte und gut ausgestattete Gebäude, in denen es sich gut lernen und arbeiten lässt. Neben der OSW planen wir gerade eine neue Gesamtschule im Norden, die die Hegelsbergschule ersetzen soll. Die Elisabeth-Knipping-Schule wird umgebaut, Wilhelms- und Friedrichsgymnasium erhalten Ergänzungsbauten, wir werden die Johann-Amos-Comenius-Schule und die Georg-August-Zinn-Schule neu bauen oder sanieren. Zudem sollen zwei neue Dreifelder-Schulsporthallen in der Nordstadt und in Niederzwehren entstehen.

Die Zeiten sind kritisch im Augenblick, natürlich auch durch den Krieg in der Ukraine. Sind solche gigantischen Investitionen nicht zu risikoreich?

Kassel geht es ja trotz Krise so gut wie seit vielen Jahrzehnten nicht mehr. Die Gewerbesteuereinnahmen sind auch 2022 auf ein hohes Niveau gestiegen, die konkreten Zahlen liegen noch nicht vor. Aber es ist uns gelungen, die Schuldenlast der Stadt von 800 Millionen Euro auf deutlich unter 300 Millionen Euro zu drücken. Wir haben in den vergangenen Jahren keine Kassenkredite mehr aufgenommen, alle Investitionen wurden ohne Fremdfinanzierung aus dem Cash-Flow gestemmt. Im Krisenjahr 2022 werden wir einen Haushaltsüberschuss in einem hohen zweistelligen Millionenbereich erwirtschaften. Wir sind stark genug, uns diese Investitionen in die Zukunft leisten zu können. 

Wenn die Stadt Geld hat, dann kann sie doch auch in Personal investieren.

Auch das tun wir. Beispielsweise in dem für die Bevölkerung so wichtigen Bereich Sicherheit. Deutlich sichtbar für alle gibt es in Kassel mittlerweile die Stadtpolizei. Mit eigenen Dienstfahrzeugen und einem Team, das von 13 auf über 40 Mitarbeitende aufgestockt wurde. Prävention durch Präsenz heißt die Devise – und das gelingt uns bestens.

Ziemlichen Wirbel gab es bei einer Maßnahme des Jahres 2022, dem Einwohner-Energie-Geld (EEG). Wie hat die Bevölkerung das denn angenommen?

Die Stadt hat 205.000 Einwohner. Rund 185.000 davon haben das EEG beantragt – und ich weise noch einmal darauf hin, dass Kassel die einzige Stadt in Deutschland ist, die auf diese Weise ihre Einwohnerinnen und Einwohner entlastet hat bei den rapide gestiegenen Energiekosten.

Da kann man ja beinahe davon ausgehen, dass
im Endeffekt auch die Kritiker Anträge gestellt
haben …

Das wird schon so sein, keine Frage. Ich bin mir sicher: Wir haben das Richtige getan. Das erkenne ich auch daran, dass ich immer noch täglich Dankesbriefe oder -mails von den Menschen in unserer Stadt bekomme, die es schätzen, dass man sie in einer außergewöhnlichen Krisenlage nicht alleingelassen hat.

Noch ein Blick zurück aufs Jahr 2022, das Jahr der documenta. Da hat es viel Unruhe gegeben – die Debatte um Antisemitismus wollen wir hier nicht neu führen. Aber es gab auch Forderungen des Bundes, mehr Einfluss nehmen zu wollen. Möglicherweise durch eine Beteiligung. Wie ist, ein paar Monate danach, Ihre Position?

Die hat sich nicht geändert. Ich bin sehr dafür, mit dem Bund zusammenzuarbeiten. Strukturveränderungen bedeuten nicht zwangsläufig Änderungen der Eigentumsverhältnisse. Wichtig ist: Die documenta bleibt in Kassel.

Bereits im Jahr 2017 kurz nach Ihrem Amtsantritt hatten Sie mit der Fast-Pleite der documenta gleich ein Riesenproblem zu lösen.

Genau. Das waren zwei documenta-Ausstellungen in meiner Amtszeit, die ziemlich hohen Wellengang erzeugt haben.

Und so wünscht sich Christian Geselle mal ne
ruhigere documenta?

Ja. Und zwar als Oberbürgermeister.

Christian Geselle (Jahrgang 1976), geboren in Kassel, Abitur am Wilhelmsgymnasium, Ausbildung im Polizeidienst, Jurastudium in Frankfurt, bis 2015 als Verwaltungsjurist beim Land Hessen. 2006 wurde Geselle in die Stadtverordnetenversammlung gewählt, übernahm 2013 den Vorsitz der SPD-Fraktion. 2015 ging er als Kämmerer hauptberuflich zur Stadtverwaltung, wurde 2017 mit 56,6 Prozent der Stimmen zum Oberbürgermeister gewählt. Geselle wohn mit Ehefrau und den beiden gemeinsamen Kindern in Niederzwehren. Im Sport schlägt sein Herz für den KSV, die Kassel Huskies – und überregional für Schalke 04.