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Eine Puppe erinnert an den Nazi-Terror

Eine Puppe erinnert an den Nazi-Terror

Die Judenpogrome des 9. November 1938 jähren sich in diesem Jahr zum 85. Mal. Für Kassel sind diese Ereignisse von ganz besonderer Bedeutung: Denn in Kassel zerstörte der Nazi-Mob schon zwei tage früher jüdische Geschäfte und demolierte die Synagoge und das jüdische Gemeindehaus. Ohne Ansage von oben: Der Judenhass kam sozusagen von unten, aus der Bevölkerung.

Eine, die jene Tage erlebt hat und die auch rechtzeitig mit einem Teil ihrer Familie aus Deutschland fliehen konnte, ist Ilse Mayerfeld. Zwei Jahre alt war sie, als in Kassel die Nazis im November 1938 randalierend durch die Straßen zogen. In jener Nacht des 7. November hatten Nachbarn der kleinen Lore und ihrer Mutter Käthchen Schutz geboten. Doch als sie zurück in ihr Zuhause wollten, fanden sie dieses komplett zerstört vor. Sie zogen ins Haus der Oma, Käthchens Mutter Lina Kahnlein-Stern.

Lore Stern (Foto: www.juedische-allgemeine.de)

Lores Vater Markus war, wie so viele jüdische Männer, gefangengenommen und in ein Konzentrationslager gesteckt worden.  Nach sechs Wochen konnte er Buchenwald verlassen – unter der Auflage, Deutschland so schnell wie möglich zu verlassen. Ihm gelang es, ein Visum für die USA zu erhalten – aber er musste seine Familie zurücklassen.

Es dauerte fast zwei Jahre, bis Lore und ihre Mutter dem Vater folgen konnten. Kurz bevor das Reich die Grenzen für Juden endgültig schloss, ergatterten via Lissabon sie eine Schiffspassage in die USA. Mitnehmen konnten sie fast nichts. Lore allerdings nahm ihre Puppe mit, die sie zu einem Geburtstag von der Oma bekommen hatte. Sie hatte die Puppe Inge genannt. „Meine Puppe Inge, der ich einen ganz deutschen Namen gegeben hatte, war eines der ganz wenigen Dinge, die wir bei uns hatten“, erinnert sie sich. Sie bekleidete die Puppe mit ihrem Pyjama – jenem Schlafanzug, den sie in der Nacht am 7. November 1938 getragen hatte.

Am 9. September 1941 kam der Dampfer „Mouzinho“ mit Lore und ihrer Mutter in New York an – die kleine Familie war wieder vereint. Vater Markus und Mutter Käthchen erfuhren erst nach dem Krieg, was aus ihren in Deutschland verbliebenen Familienangehörigen geworden war. Die Nacht war schrecklich: Markus Eltern Yettchen und Daniel Stern sowie seine einzige Schwester Sarah, Käthcens Mutter Lina, ihre beiden Schwestern Bella Simon und Salma Sender mit ihren Familien – sie alle waren ermordet worden. Käthchens Bruder Moritz und ihre Schwester Varma hatten sich ebenfalls in die USA  retten können.

Ilse Mayerfeld hat ihre Puppe all die Jahrzehnte behalten. Nahm sie 1991 bei ihrer Auswanderung nach Israel mit. Und gab die Puppe 2018 zur Aufbewahrung an die Gedenkstätte Yad Vashem. Von dort kam sie jetzt zur Gedenkausstellung nach Berlin.

Welchen Stellenwert die Puppe hatte und hat – Ilse Mayerfeld sagte dazu: „Diese Puppe bedeutet mir so viel. Sie war ein Geschenk meiner Großmutter, und ich hatte sie aus Deutschland mitgebracht. Als ich schon selbst Kinder hatte, war es ihnen nicht erlaubt, mit der Puppe zu spielen.“

Quellen: www.yadvashem.org

www.juedische-allgemeine.de