Friedrich von Heusinger (Jahrgang 1958), aufgewachsen auf dem elterlichen Hof in Lohfelden, Abitur an der Herderschule. Zwei Jahre Bundeswehr in Marburg. Jura-Studium in Erlangen, 1989 beruflicher Start im bayerischen Sozialministerium im neu eingerichteten Europareferat, 1991 Wechsel in die bayerische Landesvertretung in Brüssel. 2001 wurde er stellvertretender Leiter der Landesvertretung, 2005 dann der Wechsel zur hessischen Landesvertretung, deren Leitung er übernahm. Friedrich von Heusinger ist verheiratet, hat zwei Kinder und zwei Enkelkinder.
Vom Glück, Europäer zu sein
Mit dem Jura-Studium stand der Berufswunsch von Friedrich von Heusinger fest: Richter oder Staatsanwalt, das sollte es sein. Und eine Richterstelle hatte er dann 1989 mit dem Abschluss in der Tasche auch sicher: In Traunstein wäre das gewesen, ein Städtchen, das der kleinen Familie von Heusinger (die beiden Töchter waren in Erlangen zur Welt gekommen) auch gut gefiel. Doch da gab es noch die Einladung des bayerischen Sozialministeriums, wo er sich auch beworben hatte, zum Vorstellungsgespräch. Da gehe ich hin und sage höflich ab, dachte er sich.
Auf der Zugfahrt zurück ergab sich dann ein kleines Problem: Wie die kleine Familie überzeugen, dass es nun nicht Traunstein, sondern München als Wohnort werden würde?
Was war passiert? Im Ministerium hatte man ihm einen Job in der Grundsatzabteilung angeboten. Jener Abteilung, in der die Grundsätze bayerischer Sozialpolitik behandelt wurden. Man baute ein neues Referat auf, eines, das für Europa zuständig war. Ein Europa, das 1989 noch ganz anders aussah als heute: zwölf Mitgliedstaaten, Grenzkontrollen, es gab keinen Binnenmarkt im heutigen Sinn. Von Heusinger griff zu, nicht ahnend, dass die Entscheidung gegen Traunstein eine für Europa war.
Heute ist der 63-Jährige ein alter Hase auf dem Brüsseler Parkett. Der ins Schwärmen gerät, wenn er über die Arbeit seines 28-köpfigen Teams redet.
Ein Traumjob also? „Ja. Unbedingt!“ Er sieht sich mit seinem Team als eine Mannschaft von Lobbyisten für Hessen. Nach Washington, so von Heusinger, sei Brüssel wohl die Stadt auf der Welt mit den meisten Interessenvertretern aus Wirtschaft und Politik, die für ihre Länder, Regionen, Unternehmen, Verbände, Organisationen kämpften. Um Geld aus den EU-Töpfen, um Änderungen in Gesetzesvorlagen, manchmal auch nur, um gehört zu werden. Auf 25.000 schätzt man die Zahl der Lobbyisten in Brüssel. Kann man als kleine hessische Vertretung denn tatsächlich was auf dieser großen EU-Bühne bewegen?
Von Heusingers Antwort ist ein klares „Ja“. Und macht das am Beispiel des Flughafens Kassel-Calden deutlich. Der wurde mit Subventionen errichtet, die man in Brüssel Beihilfen nennt. Subventionen müssen grundsätzlich von der EU-Kommission genehmigt werden. Gegen die Subventionierung des Airports votierten in Brüssel andere Bundesländer: Nordrhein-Westfalen (wegen des nahen Flughafens Paderborn), Niedersachsen (wegen Hannover). „Das war gar nicht so einfach“, sagt er rückblickend. In ungezählten Gesprächen warb er mit seinem Team für das Projekt.
Hilfreich war da natürlich, dass im Laufe der vielen Jahre ein dichtes Netzwerk an Kontakten entstanden war – Grundlage jeder erfolgreichen Lobbyarbeit.
Und so wie bei Kassel-Calden ist es vermutlich bei jedem neuen Gesetz, bei jedem zu genehmigenden Projekt: In den 27 Mitgliedstaaten gibt es unterschiedlichste Interessenlagen, auch in den einzelnen Staaten selbst – siehe Paderborn und Hannover. Einmal wollte die EU den Herstellern von Apfelwein verbieten, das Produkt „Wein“ zu nennen, weil Wein ja nur Wein sei, wenn er aus gegorenen Trauben entstanden sei. Eventuell eine Initiative aus Frankreich, um den Cidre zu stärken? Auch da waren von Heusinger und Co. gefragt. Mit einer öffentlichen Kampagne sorgte man für Aufsehen, irgendwann war auch die EU überzeugt, dass dieses Verbot ein zu tiefer Eingriff in die Lebensgewohnheiten der Menschen sei, und zog das Ansinnen zurück.
Oder der Versuch, den Wassermarkt zu liberalisieren, also für Wettbewerb zu sorgen. In Deutschland ist der Markt klar geregelt, die Kommunen versorgen die Menschen mit Wasser. Zuverlässig. Ob das bei einer Liberalisierung so geblieben wäre, ist fraglich. Und so zog die EU auch diesen Plan zurück.
Aber es ist nicht nur die große Politik, die die Terminkalender füllt. „Jeder Hesse kann sich an uns wenden,“ sagt der Nordhesse, der auch in Brüssel mit seinem Wagen und einem Kasseler Kennzeichen über die Straßen flitzt. Die Hilfe nehmen viele Unternehmen und Organisationen gern in Anspruch, wenn bevorstehende EU-Entscheidungen sie betreffen könnten.
man muss zeigen, dass hessen präsent ist.
Europa transparent zu machen, das ist eines der Anliegen der Landesvertretung. In Nicht-Pandemie-Zeiten kamen das ganze Jahr über Besuchergruppen, die bei Gesprächen mit EU-Abgeordneten oder Kommissions-Mitarbeitern mehr zum Thema Europa erfuhren. Und, so von Heusinger, mit viel mehr Verständnis für die EU den Heimweg antraten.
Hessens Landesvertretung bietet zudem viele Veranstaltungen, Vorträge, Diskussionsabende, andere Gelegenheiten zum Austausch an. „Man muss zeigen, dass Hessen präsent ist“, meint der Chef-Lobbyist.
Er selbst ist noch bis Mitte 2024 präsent, mit 63 Jahren darf man schon mal ans Leben nach dem Beruf denken. Studieren, sagt er, das wäre noch mal so ein Plan. Eventuell Geschichte.
Oder ein Urlaub in Traunstein?