Kassel – Das Diphthamid-Mangelsyndrom ist eine sehr seltene Erb-Erkrankung, die die Entwicklung von Kindern stark beeinträchtigt und meist mit geistiger Behinderung und Kleinwuchs einhergeht. Nun hat eine Forschungsgruppe der Universität Kassel und des Pharma-Unternehmens Roche eine Reihe von Genvarianten identifiziert, die diese Erkrankung hervorrufen können.
Ursache der Krankheit ist eine Störung bei der Bildung von Diphthamid, einer Proteinmodifikation eines Enzyms (eEF2), welches für die Herstellung von Proteinen in menschlichen Zellen benötigt wird. „Diphthamid funktioniert gewissermaßen als Qualitätscheck bei der Proteinproduktion“, erläutert Koray Ütkür, Doktorand am Fachgebiet Mikrobiologie und Erstautor einer jetzt veröffentlichten Studie. Fehlt es oder ist zu wenig davon vorhanden, sammeln sich fehlerhafte Proteine in Zellen an, wovon eine Bandbreite von wichtigen Zellprozessen betroffen ist. Neben geistigen Behinderungen macht sich der Mangel auch durch Wachstumsstörungen bereits im Mutterleib, Hand- und Fußanomalien und weiteren Symptomen bemerkbar.
In den vergangenen Jahren waren – unter anderem von der Kasseler Forschungsgruppe und Roche – bereits einige Genvarianten identifiziert worden, die die Krankheit verursachen können. Die jetzige Studie baute darauf auf und untersuchte die Gene DPH1 und DPH2, die eine Schlüsselrolle bei der gehemmten Diphthamid-Produktion einnehmen. Die Genvarianten (sogenannte Allele) produzieren verschiedene mutierte DPH1-/DPH2-Enzyme. Das Forschungsteam identifizierte nun 12 Varianten von DPH1 und DPH2, die die Diphthamid-Produktion beeinträchtigen und so zum Mangelsyndrom führen.
Ütkür arbeitete dafür mit Hefezellen als Modell, die er gezielt manipulierte, um die gesuchten Defekte an DPH1 und DPH2 hervorzurufen. Bei der anschließenden Analyse stellte er fest, dass zehn bestimmte Allele des Gens DPH1 sowie zwei Varianten des Gens DPH2 zu einem Diphthamid-Mangel führen. „Hefezellen teilen mit uns Menschen diese bestimmten Gene, daher sind sie als Untersuchungsmodell sehr gut geeignet“, erläutert er. Die Forschungsgruppe der Firma Roche bestätigte seine Ergebnisse mit Untersuchungen an menschlichen Brustkrebszellen.
Allerdings wird das Defizit nur krankheitsrelevant, wenn die entsprechenden Mutationen auf beiden Chromosomen-Sätzen auftreten. Daher ist die Erkrankung sehr selten, vermutlich liegt die Häufigkeit weit unter einem Fall pro 50.000 Menschen.
Das Fachgebiet Mikrobiologie unter Leitung von Prof. Dr. Raffael Schaffrath forscht seit langem zur Protein-Produktion in Zellen unter anderem in einem Diphthamid-Pilotprojekt unterstützt durch den Zentralen Forschungsfonds der Universität Kassel. Schaffrath betreut auch die Doktorarbeit von Ütkür. Dass nun weitere Verursacher des Diphthamid-Mangelsyndromsidentifiziert sind (ob und wie viele weitere es gibt, ist noch unbekannt), führt zumindest auf absehbare Zeit nicht automatisch zur Entwicklung von Heilungsmöglichkeiten. Bei betroffenen Kindern kann jedoch künftig schnell die Ursache diagnostiziert werden, um besser mit der Erkrankung umgehen zu können.
Studie im Journal „Disease Models and Mechanisms“: https://journals.biologists.com/dmm/article/16/9/dmm050207/329422
Quelle: PM Uni Kassel