Was haben die Französische Revolution von 1789, der Kasseler Wein und die Todenhäuser Straße gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel – und doch zeigen alle drei die Auswirkungen klimatischer Veränderungen. Diese konnten immer wieder verheerend sein, etwa mit Hungersnöten, in denen sogar Aufstände und Revolutionen ausbrechen konnten – wie 1789 in Frankreich. Manchmal waren die Veränderungen nur vorübergehend, wie das „Jahr ohne Sommer“ 1816 – ein weltweites Elendsjahr, nachdem im April 1815 der indonesische Vulkan Tambora ausgebrochen war. Manchmal waren es aber auch langfristige Schwankungen, die gleich das Leben ganzer Generationen beeinflussten – negativ oder sogar auch positiv. Und damit kommen wir dann auch zum Kasseler Wein und zur Todenhäuser Straße.
So mancher Ort im Stadtgebiet verschwand durch Klima-Veränderungen
So erlebte Mitteleuropa zwischen 1000 und 1300 eine regionale Warmphase, die sogar 2° über den Durchschnittstemperaturen von 1931 bis 1960 vermutet wird – aber nicht vergleichbar mit der aktuellen, globalen Erwärmung. Zusammen mit technologischen Fortschritten ermöglichte dies damals reiche Ernten, die Bevölkerungszahlen stiegen, und in höheren Lagen, die bisher landwirtschaftlich nicht nutzbar gewesen waren, entstanden neue Siedlungen (vor allem die -hagen-Orte). Aus den Überschüssen der Ernten konnten die Städte mitversorgt werden, was eine ganze Phase strategisch motivierter Stadtgründungen ermöglichte – im Kasseler Umkreis sind die kleinen Landstädte Wolfhagen, Zierenberg, Hessisch Lichtenau nur einige Beispiele dafür. Zugleich bildete sich eine Arbeitsteilung heraus: In der Hauptsache boten die Zentralorte in erster Linie gewerbliche Waren an, das Land Nahrungsmittel. Und rings um Kassel wurde Wein angebaut: nicht nur am Weinberg bis zur Pfannkuchstraße, sondern auch an der Emilienstraße, am Südhang des Kratzenbergs zwischen Königstor und Kölnischer Straße, am Auehang, auf dem Möncheberg und westlich der Frankfurter Straße in Richtung Auefeld.
Diese günstige Warmphase endete jedoch schlagartig. 1309 setzte in Hessen eine Notzeit mit Unwettern, Überschwemmungen und Missernten ein. Bald folgten Krankheiten, und 1311 starb sogar das Kasseler Landgrafenpaar an einer Seuche. 1315/16 war ganz Europa betroffen, so dass nicht einmal mehr Getreide-Importe möglich waren. An vielen Orten musste man Massengräber anlegen, Dörfer wurden verlassen. Anfang 1337 blieben enorme Schneemassen ein Vierteljahr lang liegen, verursachten schwere Schäden an Bäumen und Häusern. Schneeschmelze und heftige Regenfälle sorgten immer wieder für Hochwasser. 1340 setzte in ganz Europa erneut eine Hungersnot ein, die bis 1350 anhielt. Im Juni und Juli 1342 sorgten heftige Regenfälle für Hochwasser, das in manchen Städten sogar die Stadtmauern einriss. In Kassel standen die Unterneustadt und Teile der Altstadt unter Wasser, die hölzerne Fuldabrücke wurde schwer beschädigt. In dieser Situation kam seit 1347 noch die Pest hinzu, die sich von Italien aus über Europa ausbreitete und auf eine stark geschwächte Bevölkerung traf. Hessen wurde besonders 1349/50 und 1356/57 schwer von der Seuche getroffen. Durch Ernteeinbrüche, Bevölkerungsrückgang und Preisverfall wurden bis zum Ende des Jahrhunderts viele Dörfer aufgegeben, gerade in ungünstigeren Lagen. So erinnern in Kassel heute nur noch Todenhäuser Straße und Umbachsweg an die früheren Orte Todenhausen und Umbach. Fuldhagen unweit der Messehallen oder Geilhausen bei Harleshausen sind dagegen fast völlig vergessen, und bei einer ganzen Reihe weiterer Dörfer ist nicht einmal die genaue Lage mehr bekannt. Noch bis ins 17. Jahrhundert verschlechterte sich das europäische Klima. Dies setzte dann auch dem Kasseler Weinbau ein Ende, als der Kratzenberger seinem Namen (nach einer seiner Hauptlagen) zunehmend alle Ehre machte … Erneute Versuche um 1770 blieben erfolglos.
Das Thema Stadtklima war in Hessen dagegen lange bedeutungslos: Die Städte waren klein, von Gärten und Äckern umgegeben, in den Hofräumen befanden sich ebenfalls Gärten. Erst bei zunehmendem Wachstum der Städte entwickelte sich seit dem 18. Jh. ein Bewusstsein für öffentliche Grün- und Erholungsflächen innerhalb der Bebauung – ausgehend von schattigen, grünen Promenaden zum Spazierengehen. Und als im 19. Jh. in Kassel die Hofräume immer stärker zugebaut wurden, die Gärten vor der Stadt verschwanden, entstanden im Gegenzug grüne, bunt bepflanzte Schmuckplätze und kleine Parkanlagen, neue Straßen wurden als Alleen angelegt. Ende der 1920er Jahre plante der Kasseler Stadtgartendirektor Rudolf Stier wohnungsnahe Grünzüge mit Volksparks (wie der Goetheanlage), Sportanlagen und Kleingärten. Sie sollten aus der Stadt bis zu den umliegenden Wäldern reichen, zur wohnungsnahen Erholung dienen und die Schönheit der Landschaft erlebbar halten, und in Teilen wurde das Konzept noch bis weit in die Nachkriegszeit umgesetzt. Und schließlich ist die „Stadtverwaldung“ durch Beuys zu nennen, die aber nicht einmal den Vorkriegsstand Kassels an Straßenbäumen wieder erreichte.