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Olaf Scholz in der „Herzkammer der nordhessischen Sozialdemokratie“

Olaf Scholz in der „Herzkammer der nordhessischen Sozialdemokratie“

(Kassel/Baunatal). Bundeskanzler Olaf Scholz kam gestern zu seinem einzigen Auftritt im hessischen Wahlkampf nach Baunatal. Die VW-Stadt wurde bewusst gewählt, obwohl es größere Veranstaltungsorte in der Region gegeben hätte, als den Baunataler Marktplatz mit seiner 1500 Zuschauer-Kapazität, weil hier, so Timon Gremmels, SPD-Bezirks- und stellvertretender Landesvorsitzender in seiner Begrüßung „die Herzkammer der nordhessischen Sozialdemokratie“ sei.

Während der Kanzler und Bundesinnenministerin Nancy Faeser sich im beschaulichen Trausaal im Rathaus nebenan in das Goldene Buch der Stadt eintrugen, durften auf der Marktplatz-Bühne 15 SPD-Landtagskandidaten aus Nord-, Ober- und Mittelhessen in jeweils drei, vier Sätzen schildern, was sie alles, sollten sie denn gewählt werden, in Wiesbaden demnächst alles besser machen wollen. Dann war es soweit.

Auftritt

Im Journalismus gibt es den Begriff der Text-Bild-Schere, nämlich dann, wenn ein Foto und seine Bildunterschrift nicht so recht zusammenpassen wollen. Übertragen auf den Auftritt des Bundeskanzlers müsste man von einer Ton-Bild-Schere sprechen. Er betrat die Bühne zu den Klängen von Katy Perry‘s „Roar“ und dem Refrain „I got the eye of the tiger, a fighter, dancing through the fire / because I am a champion, and you’re gonna hear me roar louder than a lion…“

Nun kann man Olaf Scholz gewiss vieles nachsagen, Gutes und je nach politischem Standort weniger Gutes, aber ihn mit einem „Tiger, lauter als ein Löwe“ zu vergleichen, ist noch nicht mal gewagt, sondern schlichtweg unzutreffend. Sollte seine Auftrittsmusik allerdings von ihm selbst ausgesucht und ironisch gemeint sein, dann: 100 Punkte!

Themen

Begleitet wurde die Kanzlerrede von Pfiffen und Buh-Rufen aus den Reihen jener Kritiker, die der Bundesregierung im Russland-Ukraine-Krieg Kriegstreiberei vorwerfen. Scholz sprach seine Kritiker direkt an, verteidigte den Kurs der Bundesregierung und griff Putin mit scharfen Worten an. Im Verlauf der knapp 30-minütigen Rede warb er für die Energiepolitik der Regierung, sprach sich für eine Einwanderungspolitik aus, die Arbeitsplätze besetzen hilft, aber gegen illegale Migration und kam immer wieder auf sein Deutschlandpaket zu sprechen, dass all das ändern soll, „was uns alle nervt“, nämlich „dass alles viel zu lange dauert und viel zu langsam voran geht“. Explizite hessische Themen wurden nicht angesprochen.

Erkenntnis

Dass der Bundeskanzler in der Tat zu einer gewissen Selbstironie fähig ist, bewies er mit einem Kommentar zu seinem kürzlichen Besuch des Empire State Buildings in New York. Dort habe er erfahren, dass der berühmte Wolkenkratzer in nur15 Monaten errichtet wurde. Scholz: „In der Zeit bekommt man in Deutschland noch nicht mal einen Bauantrag durch.“