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Stadtklima – mehr als nur Datensammeln

Stadtklima – mehr als nur Datensammeln

Für ihren neuen Wohnort gibt es schon ein klares Projekt: Kassel wird in den nächsten Monaten ein zusätzliches Netzwerk von Klimamessstationen erhalten, mit dem die Uni Kassel das Stadtklima erforschen will. Andere Messstationen gibt es zwar bereits, beispielsweise vom Land Hessen oder der Stadt Kassel, aber die ermitteln etwa die Feinstaubbelastung und haben einen anderen Fokus. Nicht aber das Stadtklima als solches. Das soll anders werden.

Professorin Dr. Britta Jänicke ist seit einem halben Jahr in Kassel, forscht und lehrt am Fachgebiet Umweltmeteorologie am Institut für Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung am Fachbereich ASL. ASL steht für Architektur – Stadtplanung – Landschaftsplanung, ihre Professur ist im Grunde keine neue Stelle, wie sie sagt. Der Posten war nur einige Jahre aus unterschiedlichen Gründen nicht besetzt. Was sich 2022 geändert hat.

Stadtklima – die Beschäftigung mit dem Thema hat eine Tradition am Fachbereich ASL, der dieses Jahr 50-jähriges Bestehen feiert. Aus diesem Anlass betrachtet Jänicke zusammen mit Kolleginnen und Kollegen der Freiraumplanung und mit Studierenden die Kasseler Stadtnatur- und Stadtklima-Debatten und -Untersuchungen der vergangenen 50 Jahre. Dabei werden Verbindungslinien zu heutigen Fragestellungen gezogen. Die Ergebnisse werden ab 30. Mai 2023 im ASL-Gebäude am Nordcampus HoPla als Ausstellung zu sehen sein.

Natürlich könne man zur Verbesserung des Stadtklimas vorhandene Bebauung nicht abreißen – aber Optimierungen seien auch durch Baumpflanzungen oder Dachbegrünungen möglich. Aber auch dabei muss man, so Jänicke, auf die richtige Gestaltung und Auswahl der Pflanzen achten: In direkter Nachbarschaft zu ihrem Büro in der Gottschalkstraße beispielsweise gebe es eine typische extensive Dachbegrünung, die bei Trockenheit im Sommer kaum Verdunstungskühlung erbringe, damit nahezu wirkungslos und eher mit einem Kiesbett vergleichbar sei. An der Uni wird viel geforscht in Sachen Umwelt- und Klimaschutz – aber fehlerfrei ist man da in der gelebten Praxis auch nicht. Dazu stoßen auch hier zu vielfältige Anforderungen aufeinander. Der neue Campus, sagt sie, sei kein Paradebeispiel für stadtklimatisch-optimierte Gestaltung: schwarzer Grund, der die Wärme speichere – und zu wenig Vegetation. Ein Fall für das Green Office der Uni, das sich seit vergangenem Jahr um Optimierungen im Umwelt- und Klimaschutz kümmert (siehe „Mein Kassel“ 4/22, einzusehen über mein-kassel.com).

Stadtklima – ein Thema, das auch eng mit der Gesundheit  der Menschen zusammenhänge.

Berlin und Braunschweig: Zwei Städte, die sie in ihrem Berufsleben schon kennengelernt hat. „Das war alles flache Landschaft“, meint sie – was in Kassel anders ist. Aber: „Die Stadt gefällt mir sehr gut!“. Auffällig sei aber sofort, dass die Radwege-Situation unbefriedigend sei. Da habe die Stadt viel aufzuholen.

Bald geht es also los mit den Messungen – wenn die bestellten Messstationen da seien. Und ein weiteres Ziel der Investitionen sei es nun, Kassel als Testumgebung zu nutzen. Das heißt: Das, was in Kassel in Sachen Stadtklima erforscht wurde, kann im Ergebnis von anderen Städten mit ähnlicher Struktur genutzt werden. 

Es gebe Untersuchungen, wonach die Lebenserwartung von Menschen in Städten an vielbefahrenen Straßen aufgrund der Luftschadstoffbelastung geringer sei als von denen, die in Vorstädten oder im Umland lebten. Das Umland – in Kassel ein besonderes Thema, weil Kommunen wie Vellmar oder Niestetal praktisch direkt an die Stadt angrenzen. Das Umland, sagt Jänicke, werde in die Untersuchungen einbezogen.

An manchem aber werden die Erkenntnisse wenig ändern …

… denn neben den Forschungsergebnissen spielen andere Faktoren eine Rolle. Die angesprochenen Vorstadtregionen, in denen sich immer mehr Menschen ihren Traum vom Häuschen im Grünen verwirklichen, seien nämlich alles andere als ökologisch vorbildlich. Die Flächenversiegelung pro Person sei wesentlich höher als bei einem Mehrfamilienhaus, und je weiter man am Stadtrand lebe, desto länger seien die Wege, die man zurücklegen müsse. Dennoch werden fröhlich weiter solche Baugebiete ausgewiesen. 

Daran wird Britta Jänicke mit ihren Forschungs- und Messergebnissen wenig ändern. Allerdings wird man in den Stadtverwaltungen mit Hinweisen zur Verbesserung des Stadtklimas rechnen müssen. Und beim Green Office in der Uni.

Prof. Dr. Britta Jänicke geboren 1987 in Braunschweig, leitet seit März 2022 das Fachgebiet Umweltmeteorologie am Institut für Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung am Fachbereich ASL. Das neu gegründete Fachgebiet Umweltmeteorologie adressiert sowohl grundlegende als auch angewandte Forschung der Stadtklimatologie und Umweltmeteorologie. Britta Jänicke studierte an der TU Berlin Landschaftsarchitektur und Landschaftsplanung und Stadtökologie, wo sie auch promovierte. In Südkorea war sie als Postdoc beim National Institute of Meteorological Sciences tätig und untersuchte das Stadtklima der Megacity Seoul. Zuletzt leitete sie die Abteilung Klimaschutz und strategische Umweltplanung bei der Stadt Braunschweig. Jänicke hat einen zweijährigen Sohn und erkundet in ihrer Freizeit gern mit Familie die Parks und die Umgebung von Kassel.