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Der Nachhaltigkeitsforscher

Der Nachhaltigkeitsforscher

Wieviel Mobilität braucht man?

Wer sich ökologisch sinnvoller, also nachhaltiger, verhalten will, sollte anfangen, sein Verhalten in den Bereichen Mobilität, Energienutzung und Ernährung zu hinterfragen. Dazu müsse man bereit sein, Neues zu probieren – beispielsweise mal die Frage stellen, wieviel Mobilität man selbst im Alltag und im Leben braucht. Das meint Dr. Andreas Bürkert, Professor für Ökologischen Pflanzenbau und Agrarsystemforschung in den Tropen und Subtropen an der Uni Kassel. 

Mein Kassel: Die weltweite Zahl der Stadtbewohnerinnen und -bewohner wird Statistiken zufolge bis zum Jahr 2030 um rund eine Milliarde auf 5,2 Milliarden Menschen steigen. Was hat die zunehmende Urbanisierung mit Nachhaltigkeit zu tun?

Bürkert: Urbanisierung hat zahlreiche Auswirkungen auf unsere Ökosysteme und ist alles andere als ein nachhaltiger Prozess. Sehen wir uns doch einen Effekt näher an: mehr Menschen in Städten brauchen mehr Wohnraum und der muss gebaut werden.

Meinen Sie die zunehmende Versiegelung der Flächen?

Das ist ein zusätzlicher Punkt. Aber zum Bauen braucht man Beton, für Beton braucht man Sand, und das weltweit. In Deutschland wurden beispielsweise 2016 fast drei Millionen Tonnen Sand und Kies importiert bei gleichzeitigem Nettoexport an unsere Nachbarländer. Die Importmenge entspricht etwa 150.000 Lkw-Ladungen, wobei wir als Land, das durch Eiszeiten mit ihren Gletscherablagerungen geprägt wurde, viel größere und leichter abbaubare Sandvorkommen haben als beispielsweise Länder in Afrika und Asien..

Frau Hemmler, Sie forschen ja aktuell zu dieser Fragestellung. Kommt denn Sand, den wir hier verbrauchen, aus Produktionen in Ländern wie Ghana oder Mali, wo Sie vor Ort waren?

Hemmler: Nein, diese Länder nutzen den dortigen Sand für den Eigenbedarf, aber mit teilweise sehr weitreichenden Folgen für das Ökosystem. In Ghana beispielsweise findet man den Sand unter Weide- und Ackerflächen. Die werden dann abgetragen und sind schutzlos der Erosion ausgeliefert. Mit dem Sandabbau verschwinden nicht nur ökologisch wertvolle Lebensräume, sondern auch Flächen, die man dringend zur Ernährung der Bevölkerung bräuchte. Und wenn sich darauf in den oft abflusslosen Gräben der Abbauflächen Regenwasser staut, dann sind diese Tümpel ein idealer Lebensraum für Moskitos, die Malaria oder das Dengue-Fieber übertragen. Also selbst für das Gesundheitswesen ist dieser Raubbau dann folgenreich.

Und in Mali?

Im Umfeld der Hauptstadt Bamako scheint das Sandproblem nicht ganz so gravierend, genau das möchte ich aber untersuchen. Dort führt der Fluss Niger auf seinem Weg von den Bergen Guineas durch die Wüste zum Meer natürlicherweise viel Sand mit. Nach diesem Fluss-Sand wird dann getaucht, und er wird danach mit Booten an Land gebracht und genutzt. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, aber wenigstens gehen daurch keine Ökosystemdienstleistungen verloren. 

© Harry Soremski

MIT DEM SANDABBAU VERSCHWINDEN NICHT NUR ÖKOLOGISCH WERTVOLLE LEBENSRÄUME, SONDERN AUCH FLÄCHEN, DIE MAN DRINGEND ZUR ERNÄHRUNG DER BEVÖLKERUNG BRÄUCHTE.

Katharina Hemmler

Mein Kassel: Die weltweite Zahl der Stadtbewohnerinnen und -bewohner wird Statistiken zufolge bis zum Jahr 2030 um rund eine Milliarde auf 5,2 Milliarden Menschen steigen. Was hat die zunehmende Urbanisierung mit Nachhaltigkeit zu tun?

Bürkert: Urbanisierung hat zahlreiche Auswirkungen auf unsere Ökosysteme und ist alles andere als ein nachhaltiger Prozess. Sehen wir uns doch einen Effekt näher an: mehr Menschen in Städten brauchen mehr Wohnraum und der muss gebaut werden.

Meinen Sie die zunehmende Versiegelung der Flächen?

Das ist ein zusätzlicher Punkt. Aber zum Bauen braucht man Beton, für Beton braucht man Sand, und das weltweit. In Deutschland wurden beispielsweise 2016 fast drei Millionen Tonnen Sand und Kies importiert bei gleichzeitigem Nettoexport an unsere Nachbarländer. Die Importmenge entspricht etwa 150.000 Lkw-Ladungen, wobei wir als Land, das durch Eiszeiten mit ihren Gletscherablagerungen geprägt wurde, viel größere und leichter abbaubare Sandvorkommen haben als beispielsweise Länder in Afrika und Asien..

Frau Hemmler, Sie forschen ja aktuell zu dieser Fragestellung. Kommt denn Sand, den wir hier verbrauchen, aus Produktionen in Ländern wie Ghana oder Mali, wo Sie vor Ort waren?

Hemmler: Nein, diese Länder nutzen den dortigen Sand für den Eigenbedarf, aber mit teilweise sehr weitreichenden Folgen für das Ökosystem. In Ghana beispielsweise findet man den Sand unter Weide- und Ackerflächen. Die werden dann abgetragen und sind schutzlos der Erosion ausgeliefert. Mit dem Sandabbau verschwinden nicht nur ökologisch wertvolle Lebensräume, sondern auch Flächen, die man dringend zur Ernährung der Bevölkerung bräuchte. Und wenn sich darauf in den oft abflusslosen Gräben der Abbauflächen Regenwasser staut, dann sind diese Tümpel ein idealer Lebensraum für Moskitos, die Malaria oder das Dengue-Fieber übertragen. Also selbst für das Gesundheitswesen ist dieser Raubbau dann folgenreich.

Und in Mali?

Im Umfeld der Hauptstadt Bamako scheint das Sandproblem nicht ganz so gravierend, genau das möchte ich aber untersuchen. Dort führt der Fluss Niger auf seinem Weg von den Bergen Guineas durch die Wüste zum Meer natürlicherweise viel Sand mit. Nach diesem Fluss-Sand wird dann getaucht, und er wird danach mit Booten an Land gebracht und genutzt. Die Arbeitsbedingungen sind schlecht, aber wenigstens gehen daurch keine Ökosystemdienstleistungen verloren. 

Zurück nach Deutschland. Hier verändert sich die Bevölkerungszahl nicht mehr gravierend, dennoch ist jede Menge Bedarf an Baumaterial vorhanden. In der Pandemie hat man gesehen, wie im und nach dem Lockdown die Menschen die Baumärkte stürmten, um weiter zu bauen und zu werkeln an einer leider oft nicht nachhaltigen Gebäudezukunft. Da hat sich keiner Gedanken gemacht, ob das nachhaltiges Handeln war …

Bürkert: Bei der Art und Weise, wie wir bauen, ist eigentlich jeder damit zusammenhängende Gang in den Baumarkt ein Schlag ins Gesicht der Natur. Wir sollten nicht vergessen, dass wir unseren ökologischen Fußabdruck nicht nur durch unsere heimischen Bauaktivitäten vergrößern, sondern überall, wohin wir reisen – selbst im Urlaub. Ohne die Touristen, die am Urlaubsziel meist noch bessere Wohnqualität haben wollen als zuhause, gäbe es all die Glas-, Stahl- und Betonpaläste in Dubai, im Senegal und an anderen Reisezielen nicht.

Apropos ökologischer Fußabdruck. Wenn Durchschnittsbürger sich Gedanken machen wollen, wie sie sich ökologisch sinnvoller, also nachhaltiger verhalten können, dann ist das ja ein extrem komplexer und anstrengender Gedankenprozess. Wenn man dennoch damit anfangen will – wie und womit sollte man beginnen?

Man könnte damit anfangen, sein Verhalten in den Bereichen Mobilität, Energienutzung und Ernährung zu hinterfragen und Neues zu erproben. Dabei hängt im Leben vieles miteinander zusammen. Auch eine stärkere Bahnnutzung macht irgendwann Streckenneubauten mit all der dazugehörigen Infrastruktur erforderlich. Beim Nachdenken über den eigenen Lebensstil des „Immer weiter, immer mehr“ lohnt es sich vielleicht, sich an eine alte Lebensweisheit zu erinnern.

Und die wäre?

„Bleibe vor Ort und nähre Dich redlich.“ Wieviel Mobilität benötige ich, um glücklich zu sein – wenn man hier auch nur kleine Abstriche machen würde, wäre schon viel gewonnen.

Klingt einfach, ist aber in Wahrheit schon kompliziert und anspruchsvoll.

Das stimmt wohL – sich selbst in Frage zu stellen und zu ändern ist eine hohe Kunst und ist in der Tat anstrengend. Leider ist es ja auch so, dass von der Energie, die wir für die ideenreiche Umsetzung nachhaltigerer Lebensformen in unserem Alltag benötigen, viel verloren geht durch das Spielen mit dieser kleinen Kiste und der damit geführten sinnarmen Pseudokommunikation (hält sein Fairphone-Handy hoch).

Das ist jetzt ein kleiner Themensprung. Aber diese Erkenntnis führt eigentlich zu einer anderen, durchaus ernüchternden: Die Generation der aktuell Heranwachsenden scheint, wie aktuelle Studien zeigen, durch verschiedene Umstände die erste Generation seit den Weltkriegen zu sein, die dümmer ist als die Generation zuvor. Und gerade diese Smartphone-Generation soll jetzt die sein, die den intellektuellen Aufwand betreibt und Nachhaltigkeit praktiziert und umsetzt?

Wir sollten die Hoffnung auf die Kraft der Veränderung nicht aufgeben: Never, ever. Die Menschheitsgeschichte zeigt, dass Neuanfang immer wieder möglich ist. Not macht erfinderisch, und verständnisvolles, liebevolles Vorbild hilft, Sinnvolles zu tun und zusammen mit anderen zu neuen Ufern aufzubrechen, heute, morgen und übermorgen.

Katharina Hemmler (Jahrgang 1994) stammt aus Offenburg, studierte Nachhaltiges Wirtschaften in Kassel und promoviert derzeit am Fachbereich Ökologische Agrarwissenschaften der Uni Kassel in Witzenhausen.

Professor Dr. Andreas Bürkert (Jahrgang 1961) geboren in Schwäbisch Hall, aufgewachsen in Langenargen am Bodensee, studierte Agrarwissenschaften an der Universität Hohenheim und an der Universität von Kalifornien in Davis. Nach Promotion und insgesamt neun Jahren wissenschaftlicher Arbeit zu Nachhaltigkeitsfragen im westafrikanischen Sahelland Niger wurde er auf die Professur für Pflanzenbau in den Tropen und Subtropen an der Uni Kassel in Witzenhausen berufen, seit 2004 ist er dort Professor für Ökologischen Pflanzenbau und Agrarsystemforschung in den Tropen und Subtropen. Er arbeitet zusammen mit zahlreichen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu Fragen der Bodenfruchtbarkeit im agrarökologischen Kontext, zu Stoffflüssen in Agrarlandschaften und zu Stadt-Land-Transformationen in Afrika und Asien.