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Beuys und die Folgen

Beuys und die Folgen

Für die Menschen, die in Kassel leben, für die gehören die 7000 Beuys-Eichen zum Leben in der Stadt, einfach zu ihrem Alltag. Oft übersieht man sie, dann wieder staunt man, an welch ausgefallenen Plätzen man die Bäume mit ihren Basaltstelen findet.

Können Bäume sozial verwurzelt sein?

Vor genau 40 Jahren startete die „Stadtverwaldung“. Der in Kassel geborene und aufgewachsene Kulturhistoriker Dr. Matthias Henkel (60) geht im Rahmen eines Lehrauftrags an der Uni Kassel mit seinen Studierenden der Frage nach, wie das Projekt in der Fuldastadt sozial verwurzelt ist. 

„#BEUYS7000 – 40 Jahre später. Zur sozialen Verwurzelung der Stadtverwaldung“ heißt das Studienangebot. Und in dessen Rahmen wurden Menschen in und aus der Stadt befragt, die sich spontan zu Beuys und den 7000 Eichen äußerten. Henkel, der in Berlin die Kultur-Agentur EMBASSY OF CULTURE gegründet hat, stellt die im Rahmen des Projektes entstandenen Interviews sukzessive der Öffentlichkeit zur Verfügung: embassy-of-culture.com/project/beuys7000

Wir haben mit Matthias Henkel über das Projekt gesprochen:

Mein Kassel: Wenn man den Titel Deines Studienangebots liest, könnte man meinen, dass Bäume Wurzeln schlagen können. Können sie?

Henkel: Wenn man so will, war diese Frage genau die Ausgangshypothese unserer Untersuchung. Aber, um es gleich vorweg zu nehmen, nicht jedem Baum ist eine soziale Verwurzelung vergönnt.

Woran liegt es also? Am Boden? Am Standort? An der Baumart?

Nichts von alledem. Die Bäume müssen „aufgeladen“ werden – mit einem symbolischen, mit einem kreativen, mit einem künstlerischen Potential. Und das hat Joseph Beuys vor genau 40 Jahren mit seinem Projekt STADTVERWALDUNG STATT STADTVERWALTUNG geschafft. Der Künstler Joseph Beuys hat die 7000 Eichen zu einer Bild-Sinn-Wort-Marke gemacht. Das ist wirklich ein Alleinstellungsmerkmal …

Ups … das sind ja merkwürdige Vokabeln in Bezug auf einen städtischen Baumbestand – für urban trees.

Ja, auf den ersten Blick schon – aber es ist vollkommen berechtigt. Die Kasseler Künstlerin Doris Gutermuth formuliert es in dem Interview, das wir mit ihr geführt haben, in genau diesem Sinne: „Beuys hat es voll draufgehabt“. Als Visionär nämlich. Er vertraute der unbändigen Kraft der Natur, die inzwischen aus den kleinen Setzlingen am Straßenrand veritable Allee-Bäume hat werden lassen. Der große Haufen der Basaltstelen, die damals auf dem Friedrichsplatz abgeladen wurden, meint sie, habe seinerzeit bei älteren Mitbürgerinnen und Mitbürgern Erinnerungen an den Krieg, die Ruinen, die Geröllhalden, die Berge der geborgenen Bombenopfer geweckt. Es brauchte einige Jahre, bis die Aktion, die Beuys auf der d7 im Jahr 1982 mit der ersten Pflanzung direkt auf dem Friedrichsplatz begann, auf wirklich breite Akzeptanz gestoßen ist. Genau dieser Wandlungsprozess in der Wertschätzung kommt in vielen unserer Interviews zur Sprache.

Und heute?

Ein paar Zeitgenossen werden sich sicherlich noch an das frühere Erscheinungsbild der Ludwig-Mond-Straße erinnern können: Die Straße war eine echte Wüste aus Asphalt und Stein. Und heute ist eine vierspurige Doppelallee entstanden. Und das ist erst der Anfang …

Wieso Anfang?

Na, so eine Eiche kann locker mal 500–800 Jahre leben, wachsen, blühen und gedeihen.

Wie dann wohl die Ludwig-Mond-Straße aussehen wird?

Vermutlich wird es die Bäckerei Bernecker nicht mehr geben. Und auch die Belgiersiedlung wird anders heißen. Das ist der Lauf der Dinge. Aber die Bäume wird es geben, auch weil sich seit 40 Jahren – und auch in den nächsten Jahrzehnten – Menschen drum kümmern.

Wahrscheinlich das Gartenamt?

Nicht allein. In Kassel ruht die Verantwortung für das Gesamtkunstwerk der STADTVERWALDUNG auf zwei Schultern. Für den materiellen Erhalt und für die Baumpflegemaßnahmen sorgt Volker Lange – als Abteilungsleiter im Umwelt- und Gartenamt. Und für die Unversehrtheit der konzeptuellen Ebene sorgt der Vorstand der Stiftung 7000 Eichen. Und wenn man so will, gibt es noch einen Spiritus Rector …

Ludwig-Mond-Straße: Auch hier wirken die Beuys-Bäume prägend.

© Harry Soremski

An wen denkst Du da?

Wir hatten die große Freude, im Rahmen des Projektes auch Hans Eichel treffen zu können – nomen est omen (lacht). Er war von 1975 bis 1991 Oberbürgermeister von Kassel und hat in dieser Zeit stets intensiv auch mit Künstlern der documenta wie Beuys gesprochen und verhandelt.

Und?

Uns hat im Seminar begeistert, wie lebendig Hans Eichel, der ja mittlerweile 80 Jahre alt ist, noch heute von diesen Diskussionen an der Schnittstelle zwischen Kunst und Politik berichten konnte. Dieses Werk, das Joseph Beuys geschaffen hat, kann man mit Fug und Recht ganzheitlich nennen. Genau so hat es uns auch ein Passant erklärt, den meine Studierenden auf dem Campus der Kasseler Universität in einer spontanen Straßenumfrage interviewt haben.

Wie seid Ihr überhaupt an die Gesprächspartner gekommen?

Wir haben auch einen Aufruf in der HNA gestartet. Allein darüber haben wir 15 Rückmeldungen bekommen – alles ganz einzigartige Geschichten, die wir jetzt sukzessive aufarbeiten. Darunter auch der Galerist und Kunsthändler Sigi Sander, der jetzt in Hamburg lebt und arbeitet. Er war damals Mitarbeiter von Beuys – bis 1987 fest im Koordinationsbüro 7000 Eichen angestellt. Er pflanzte mit Studierenden – aber mitunter auch mit „Knackis aus der JVA“ Wehlheiden – die Beuys-Bäume. Es habe ihn damals innerlich sehr erfüllt, etwas wirklich Sinnvolles zu machen. Die Beuys-Aktion …
„ist prägend für mein ganzes Leben“, sagt Sander. 

Ein anderer Zeitzeuge namens Constantin, der jetzt ebenfalls in Hamburg lebt, erinnert sich, mit seinen Freunden als Siebenjähriger auf dem Hügel mit den Basalt-Stelen herumgekraxelt zu sein. Constantin lebte damals im Vorderen Westen, einige Jahre später ist vor dem Haus, in dem er lebte, ein Parkplatz verschwunden, weil dort Beuys-Bäume gepflanzt worden sind. Und noch heute, 40 Jahre später, sind die Beuys-Bäume Bestandteil seines eigenen biografischen Gedächtnisses. Ein paar Tage nach dem Interview mit Constantin hat er mich nochmal angeschrieben und sich ausdrücklich dafür bedankt, dass ich ihm die Gelegenheit gegeben habe, auf diese Weise nochmals über dieses prägende Erlebnis seiner Kindheit sprechen zu können.

Die Bäume von Beuys sind also nicht nur Grüne Lungen für die Stadtluft, sondern auch ein Politikum – und letztlich ein lebendiger Bestandteil vieler Biografien von Kasseler Bürgerinnen und Bürgern?

Ja, genau so sehen wir das. Und die Baum-Aktivistin Ingrid Pee, die wir auch haben interviewen können, ist dafür ein echtes Parade-Beispiel. Am Ende formuliert sie es so: „Beuys hat mit seiner STADTVERWALDUNG deutlich mehr erreicht, als ich über die städtischen Verwaltungsstrukturen und den Ortsbeirat im Bemühen um eine Baumschutzsatzung.“ In Anerkennung ihres hohen Engagements hat ihr das Baum-Büro 7000 Eichen übrigens einen Baum in den eigenen Garten gesetzt – an dem sie jeden Tag ihre Freude hat.

Danke fürs Gespräch!

Moment. Mir fällt zum Glück gerade noch was ein. Uns ist natürlich schon klar, dass es nicht nur Eichen sind, die gepflanzt worden sind … Aber das ist eine andere Geschichte.

Worüber wir in einer unserer nächsten Ausgaben berichten.