Freitagabend. Das ist so die Zeit, da wissen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Team immer, dass sich die Anrufe häufen. Das Wochenende steht vor der Tür. Die Anrufe kommen von Familien, die daheim ein schwerstkrankes Kind versorgen und nun Angst vor dem Wochenende haben. Angst davor, in eine Situation zu geraten, in der man möglicherweise nicht mehr weiterweiß.
„Kleine Riesen Nordhessen“ ist da dann die Adresse, unter der es Hilfe, Rat und Trost gibt. Früher ein Verein, mittlerweile eine eigenständige gemeinnützige GmbH. Die „Kleinen Riesen“ – das war schon früher nicht irgendein Verein und ist nun folgerichtig nicht irgendeine gGmbH.
Das 15-köpfige Team leistet eine besondere Form von Lebenshilfe, die häufig genug und auch absehbar mit dem Tod des Patienten endet. Dr. Thomas Voelker, Kinder-Onkologe am Klinikum Kassel und zu 51 Prozent bei den „Kleinen Riesen“ beschäftigt, fasst den Job des Teams so zusammen: „Wir sind Ärzte für Lebensqualität.“ Mit dem Ziel, das Leben, das den jungen Patienten noch verbleibt, und die Zeit, die Angehörige und Freunde mit ihnen verbringen können, so lebenswert wie möglich zu machen.
Das hat Auswirkungen, denn mittlerweile ist es durch die häusliche Betreuung und auch die Schulung der Eltern im Umgang mit ihren kranken Kindern gelungen, die Zahl der jungen Menschen, die im Klinikum sterben, deutlich zu senken. Der Rest profitiert von der Lebensqualität, die das Kleine-Riesen-Team vermittelt.
Erkrankungen bei Kindern sind anders und verlaufen auch anders als bei Erwachsenen.
Professor Dr. Michaela Nathrath ist Direktorin der „Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, Psychosomatik und Systemerkrankungen“ – grob übersetzt ist es die Klinik, die sich vor allem mit Blut- und Geschwulsterkrankungen (vornehmlich Tumore), aber auch mit anderen schwerwiegenden chronischen Erkrankungen bei Kindern befasst.
Nathrath weiß aus jahrzehntelanger Erfahrung, dass Erkrankungen bei Kindern eben anders sind, anders verlaufen als bei Erwachsenen – und dass ein Sterbefall dann trotzdem oft eine unklare Ursache hat. Und dass die Eltern eben genauso betreut werden müssen wie der junge Patient. Dies leistet das Team der „Kleinen Riesen“, manchmal auch mit einer 24-stündigen Präsenz zuhause bei der Familie des Patienten.
Seit knapp 15 Jahren wird diese Arbeit nicht nur von der Politik gefordert, sondern auch von den Kassen gefördert. Dennoch, so die beiden Mediziner, gibt es eine Versorgungslücke. Die man nun zeitnah schließen will. Denn die palliative Betreuung ist glasklar geregelt – ab wann was seitens Pflege und Betreuung getan werden darf.
Aber, so Nathrath, was ist in der Zeit davor? Ein junger, schwerkranker Patient darf das Krankenhaus verlassen – ist aber medizinisch noch kein Palliativpatient. Die Eltern, Geschwister, Angehörigen sind möglicherweise gar nicht in der Lage, die nötige pflegerische Unterstützung in den eigenen vier Wänden zu leisten.
Die Lösung ist angelehnt an eine Einrichtung in Hamburg, die erfolgreich arbeitet – und die in den kommenden zwei Jahren in Kassel, mit einigen Optimierungen versehen, umgesetzt werden soll. Am Möncheberg wollen die „Kleinen Riesen“ ein neues Gebäude errichten – mit acht Appartments, in denen die Eltern mit ihrem kranken Kind wohnen und leben können und in dieser Zeit fit gemacht werden für die weitere Betreuung des jungen Patienten zuhause.
Das Grundstück ist da – nun geht es um die Finanzierung. Die gGmbH hat dafür nur wenig Eigenkapital, ist fast komplett auf Spenden angewiesen. 7,5 Millionen Euro sind nötig, „drei Millionen haben wir bereits“, sagt Nathrath. Die in erster Linie von einem nicht aus der Region stammenden Einzelspender kommen, den das Konzept absolut überzeugt hat.
Nathrath und Voelker hoffen nun auf Interesse in der gesamten Region – denn die Klinik selbst und die „Kleinen Riesen“ haben ein Einzugsgebiet, das nicht nur ganz Nordhessen umfasst, sondern mit dem Fuldaer Raum auch bis nach Osthessen geht.
Die beiden wissen, dass der Zeitplan ehrgeizig ist. Zudem in Zeiten, in denen die Kalkulation von Baukosten auch eine Art Lotteriespiel sein kann. Doch wahrscheinlich ist es so, dass man, wenn man sein Berufsleben in einem derart intensiven Schmelztiegel von medizinischer Kapazität und emotionaler Wucht verbringt, irgendwie etwas unerschütterlicher als andere an rein weltliche Probleme herangeht. Deshalb: „Wir wollen nächstes Jahr den ersten Spatenstich und 2024 mit der Arbeit anfangen“, sagt Nathrath.
Höchste Zeit also, für ein Projekt etwas zu tun, das über die Landesgrenzen hinaus einmalig ist und das die Eltern von schwerstkranken Kindern und die Kinder selbst auch dringend brauchen.
Das Spendenkonto:
Kleine Riesen Nordhessen gGmbH
Kasseler Sparkasse
IBAN: DE27 5205 0353 0002 1851 56
BIC: HELADEF1KAS
Prof. Dr. Michaela Nathrath (Jahrgang 1961) kommt aus München, ist seit 2008 am Klinikum in Kassel, drei Kinder.
Dr. Thomas Voelker (Jahrgang 1971) kommt aus Kassel, kehrte nach verschiedenen beruflichen Stationen 2009 in seine Heimatstadt zurück, drei Kinder.