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Hübner: Innovationen aus Kassel

Hübner: Innovationen aus Kassel

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Die HÜBNER-Gruppe mit Sitz in Kassel ist seit Jahrzehnten eine unternehmerische Perle der nordhessischen Industrie. In diesem Jahr steht HÜBNER nicht nur für innovative Produkte – sondern auch für documenta. Denn das Werksgelände an der Agathofstraße ist einer der Standorte der documenta 15. Über das documenta-Engagement und die Fragen, wie ein weltweit tätiges Unternehmen durch die von Pandemie und Ukraine-Krieg geprägten Zeiten kommt, sprach „Mein Kassel“ mit Geschäftsführer Ingolf Cedra.

© Harry Soremski

Hübner hat schon immer Kultur in der Stadt unterstützt

Mein Kassel: HÜBNER wird documenta-Standort. Wie kam’s? Stehen da plötzlich ein paar Kuratoren vor dem Werkstor und fragen an?

Cedra: Zunächst einmal muss man wissen, dass HÜBNER schon einige documenta-Ausstellungen unterstützt hat. Diese Unterstützung lief über die Stiftung Hübner und Kennedy gemeinnützige GmbH. Im aktuellen Fall war es so, dass unser Hauptgesellschafter Herr Hübner die Geschäftsführung der documenta auf unser Gelände aufmerksam gemacht hat.

Wieso steht das Gelände denn zur Verfügung – und wussten Sie im Vorfeld, was die documenta dort vorhat?

Nein, wie alle anderen documenta-Fans ließen wir uns überraschen. Wir haben der documenta das Areal kostenfrei zur Verfügung gestellt. Die Werks-Grundstücke an der Agathofstraße und an der Königinhofstraße in direkter Nachbarschaft haben eine über 50 Jahre lange Tradition als HÜBNER-Standorte. Aber wir haben schon 2018 beschlossen, unsere Aktivitäten in Kassel in Waldau zu konzentrieren und uns aus Bettenhausen zu verabschieden. Wir haben einen Käufer gesucht – und mit der Kasseler Verkehrsgesellschaft (KVG) auch gefunden. Die KVG hatte einen Standort für ihre Elektrobus-Flotte gesucht. Aber der Käufer KVG passt auch aus einem anderen Grund.

Und der wäre?

Wir haben mit der KVG schon sehr lange sehr intensive Geschäftsbeziehungen, sie ist ein Kunde, mit dem wir viele unserer innovativen Neuentwicklungen hier vor Ort in Kassel getestet haben. Und zuweilen hat die KVG einige unserer Produkte auch mit entwickelt, wie beispielsweise beim Corona-Fahrerschutzsystem.

Zurück zur documenta. Werbung mit und durch die documenta bringt Ihnen in Ihrer Branche ja wahrscheinlich nicht so viel wie das bei anderen Sponsoren der Fall ist – VW, Sparkasse beispielsweise, da geht es ja immer um den Konsumenten direkt.

Das stimmt. Aber wir sind ein Unternehmen aus Kassel. Und unser Hauptgesellschafter Reinhard Hübner hat schon immer Kultur in der Stadt unterstützt – aber stets nach dem Motto „Tue Gutes und rede nicht drüber.“

Diese documenta ist sicherlich die in der über 65-jährigen documenta-Geschichte, die in der unsichersten Zeit stattfindet. Wie bekommt das ein Industrieunternehmen wie Ihre Unternehmensgruppe zu spüren?

Da gibt es negative Auswirkungen – aber auch positive Folgen.

Dann erst mal die unangenehmen Fakten …

Durch den Krieg in der Ukraine und die Folgen daraus sind weltweit Lieferketten massiv durcheinandergeraten. Materialpreise schießen durch die Decke, Kalkulationen sind in der Folge mit hohen Risiken behaftet. Und die Pandemie ist ja leider auch noch nicht vorbei: Wenn in Shanghai wegen Corona der Hafen dicht gemacht wird und hunderte Schiffe nicht entladen werden können, dann hat das Folgen für die Wirtschaft weltweit.

Steigende Preise – das merkt der Verbraucher im Supermarkt. Man kann dann vergleichen und möglicherweise irgendwo günstiger einkaufen. Wie geht ein Unternehmen damit um?

Zuallererst wollen wir lieferfähig für unsere Kunden sein, wir müssen also die Waren beschaffen, die wir für die Produktion brauchen. Aber das ist weltweit schwieriger geworden und eine große Herausforderung. Hinzu kommen die ständig steigenden Energiepreise. Darüber müssen wir natürlich mit unseren Kunden reden und gestiegene Preise leider weitergeben – aber alles in einem fairen und partnerschaftlichen Dialog.

documenta- Kunst in der Agathofstraße

Viele Menschen aus der ganzen Welt sollen den Weg nach Kassel finden

Sie sprachen auch von positiven Entwicklungen – wo spüren Sie die?

Der gesamte Bereich Photonics, in dem wir Laser produzieren, boomt regelrecht. Hier identifizieren wir neue Geschäftsfelder für uns mit innovativen Technologien, die zum Beispiel die Krebsdiagnostik entscheidend voranbringen. Zudem arbeiten wir auch in anderen Geschäftsbereichen an unterschiedlichen Zukunftstechnologien, eine davon nennt sich Tram2BRT bzw. High-Capacity-Busse.

… und meint was?

Kurz gefasst: Weltweit suchen Städte nach Lösungen, den öffentlichen Nahverkehr auszubauen. Für den Personennahverkehr in Ballungszentren gibt es derzeit im Wesentlichen Bahnen und Busse. Letztere haben den Nachteil, dass man nicht so viele Passagiere transpotieren kann wie beispielsweise in einer U-Bahn. Bahnen wiederum brauchen Schienen. Wir haben gemeinsam mit Partnern wie dem Fraunhofer-Institut also eine Straßenbahn auf Gummirädern entwickelt – ohne Schienen. Diese Idee macht einen Kilometer Buslinie viele Millionen Euro günstiger als einen U-Bahn-Kilometer. Wir reden hier von bis zu 36 Meter langen Bussen, mit Platz für 300 Fahrgäste …

… die ja irgendwie durch Kreisverkehre kommen müssen. 

Genau. Da ist dann der vordere Teil schon aus dem Kreisverkehr raus, während der hintere erst hineinfährt – dafür haben wir ein innovatives Lenksystem entwickelt mit sechs intelligenten Achsen, die gewissermaßen miteinander kommunizieren.Apropos Forschung und Entwicklung. Wie muss man sich denn so einen Job in einem Unternehmen wie HÜBNER vorstellen? Da kommt ja ein Entwickler nicht am Montagmorgen zur Arbeit und sagt: „Heute erfinde ich mal dies und das.“

Ein gutes Beispiel ist unsere Photonics-Sparte, 

die mit der Freiheit eines eigenständigen Unternehmens agieren kann und Laser-Produkte gemeinsam mit Kunden entwickelt und produziert. Von diesen Erfahrungen kann die übrige Gruppe sehr viel lernen.

Ein Beispiel?

Wir schaffen es, unsere Produkte, die beispielsweise in Bussen eingesetzt werden, so mit Sensorik auszustatten, dass kontinuierlich Daten erfasst und ausgewertet werden können. Erschütterungen bei der Fahrt, Schlaglöcher, Fahrbahnbelag, Fahrverhalten und vieles mehr – all das kann ein Verkehrsunternehmen wie zum Beispiel die KVG dann bei der Planung für die Instandsetzung nutzen, um ihre Fahrzeuge effizient einzusetzen.

Vielleicht zum Schluss noch mal kurz documenta: Was wünschen Sie sich für diese 100 Tage?

Eine spannende und inspirierende Ausstellung. Und natürlich freue ich mich, wenn trotz Pandemie viele Menschen aus der ganzen Welt den Weg nach Kassel, auf das HÜBNER-Areal finden und damit auch etwas über unser Unternehmen erfahren.

Die HÜBNER-Gruppe ist mit ihren Geschäftsbereichen Mobility, Material Solutions und Photonics globaler Systemanbieter für die Mobilitätsbranche, die Industrie sowie Life Sciences und Wissenschaft. Weltweit führend ist HÜBNER im Bereich Übergangssysteme für Schienenfahrzeuge und Busse sowie Anbieter für Fahrwerk- und Cockpit-Lösungen. Darüber hinaus ist das Unternehmen international anerkannt als Spezialist für anspruchsvolle Lösungen durch Elastomere, Isolations- und Verbundwerkstoffe. Erfolgreich entwickelt sich der Bereich der Laser-Technologie, der zum Beispiel Anwendungen für die Krebsdiagnostik entwickelt. 2021 erwirtschaftete die HÜBNER-Gruppe mit rund 3.500 Beschäftigten weltweit rund 440 Millionen Euro Umsatz. Neben dem Hauptsitz in Kassel ist HÜBNER mit über 30 Standorten rund um den Globus präsent.

Ingolf Cedra ist seit 2014 in der Geschäftsführung der HÜBNER-Gruppe, die er gemeinsam mit seinen Kollegen Helge Förster und Gerald Steinhoff bildet. Der 51-Jährige verantwortet die Geschäftsbereiche Material Solutions und Photonics. Nach dem Studium des Maschinenwesens/Verfahrenstechnik an der Technischen Universität Dresden führte ihn sein Weg 1997 zum Unternehmen VOITH. Dort war er in verschiedenen Stationen, unter anderem in der Geschäftsführung tätig, bevor er 2014 zu HÜBNER wechselte. Cedra ist verheiratet, hat drei Kinder und lebt mit seiner Familie im Landkreis Kassel.